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Geschichtlicher ÜberblickBulgarien liegt mitten auf der Balkanhalbinsel an einem Kreuzweg unterschiedlichster Kulturen. Der Statistik zufolge belegt unser Land nach der Anzahl der archäologischen Funde einen der ersten Plätze. Die heutigen bulgarischen Gebiete gehören zu den antiken Ausgangspunkten der Zivilisation auf dem europäischen Kontinent. Erste Spuren menschlichen Wirkens im heutigen Bulgarien gehen auf das Paläolithikum (Altsteinzeit) zurück. Menschliches Wirken und Kultur sind über alle prähistorischen Epochen ununterbrochen zu verfolgen. Besonders interessante Funde sind im Siedlungshügel von Karanovo bei Nova Sagora, in dem Kulturschichten vom Beginn der Neusteinzeit bis zum Ende der frühen Bronzezeit (6. Jahrtaus. v. Chr. – 1. Hälfte des 3. Jahrtaus. v. Chr.) gemacht worden. Zu höchsten Höhen gelangten die prähistorischen Bewohner des heutigen Bulgarien im letzten Abschnitt der Jungsteinzeit, in der schon Kupferbearbeitung bekannt war (Chalkolithikum). Eben hier wurde vor drei Jahrzehnten eine Zivilisation entdeckt, die noch älter ist als die in Mesopotamien und Ägypten. Gemeint ist die Varnaer chalkolithische Begräbnisstätte aus dem 5. Jahrtaus. v. Chr. Dabei ist auch der älteste Goldschmuck in der Welt gefunden worden, darunter Symbole der Macht. Ebenfalls aus dieser Zeit stammt der Schatz von Hotniza (Gebiet Lovetsch) aus einem Siedlungshügel aus der späten Jungsteinzeit. Ausgesprochen eindrucksvoll sind die in der bereits in der frühen Bronzezeit bewohnten Magura – Höhle gemachten Funde, insbesondere die bemerkenswerten Felszeichnungen (aus der späten Bronzezeit), die mit Fledermaus – Exkrementen gearbeitet worden sind. Dargestellt sind Jagdszenen, Tänze, Totems und Götzen.
In der Bronzezeit (3100 – 1200 v. Chr.) veränderte sich das Leben der Bewohner dieser Gegend vollkommen. Es geht um die antiken Thraker, die sich bis zur ersten Hälfte des 1. Jahrtausends v. Ch. zu einem Volk herausbilden. Die Thraker sind nicht nur die ältesten, historisch am besten nachzuweisenden Bewohner unserer Gebiete. Die moderne Wissenschaft findet auch immer mehr Beweise dafür, dass eben das antike Thrakien einer der Orte des Zusammenwachsens der Indoeuropäer gewesen sein muss. Die ältesten Denkmäler der Thaker sind Zeitgenossen der Kultur des alten ägyptischen Reiches. Einen wesentlichen Einfluss auf die Kultur weltweit übten die Thaker vor allem durch ihre Kontakte zur altgriechischen Zivilisation aus. Herodot bezeichnet die Thraker als zweitgrößtes Volk der damaligen alten Welt. Homer beschreibt sie als Verbündete von Troja im 8. Jh. v. Chr. Über die thrakische Antike schreiben Äschylos, Euripides, Aristophanes und andere altgriechische Persönlichkeiten.
Der übermächtige hellenistische Einfluss in seinen vollendeten Formen weist die Kultur der Thraker als eine Kultur der Synthese aus. Dem Kult gegenüber dem thrakischen Dionysos (römisch: Bacchus) kommt eine besondere Bedeutung bei der Schaffung der griechischen Tragödie und Komödie zu. Und Mythen und Kult um den sagenhaften thrakischen Sänger Orpheus (die so genannte Orphik) sind tief in das geistige Leben der antiken Zivilisation eingedrungen. Orpheus war vermutlich ein Thrakerherrscher und Priester der mykenischen Zeit, den die Mythologie in einen Heros verwandelt hat, in einen unsterblich gewordenen Halbgott, der Künste, Weisheit der Antike und Musik verkörperte, Heilkunde, Weißsagung und Oberherrschaft. Orpheus sehr ähnlich ist die Gestalt des Salmoxis (Getenpriester, der jahrelang als Einsiedler gelebt hat), eines berühmten Wahrsagers und Heilkundigen. So manch orphische Elemente haben selbst in der neuen Weltreligion des Christentums ihren Platz gefunden.
Die Kunst der Thraker ist vornehmlich durch deren Grabmäler und Gräberfelder bekannt, die in einigen Gegenden außerordentlich konzentriert vorkommen. Ihre größte Blüte erlebte die thrakische Kultur Ende des 4. und zu Beginn des 3. Jh. v. Chr., also zu der Zeit, zu der das Grabmal von Kasanlak mit seinen herrlichen Wandmalereien entstanden ist und die in den letzten Jahren immer größeres Interesse erweckenden thrakischen Grabmäler im so genannten Tal der Thrakerherrscher im Talkessel von Kasanlak. Ein klassisches Beispiel für die Errungenschaften der thrakischen Kunst sind die Gold- bzw. Silberschätze von Panagjurischte, Valtschi tran und Rogosen, aber auch noch andere Schätze. Entdeckungen aus der thrakischen Antike werden auch heute noch gemacht, beispielsweise der im Sommer 2000 gefundene monumentale Tempel bei Starosel, Gebiet Plovdiv (5./4. Jh. v. Chr.), das Kuppelgrabmal bei Alexandrovo, Gebiet Haskovo (2. Hälfte 4. Jh. v. Chr.) und der Tempel bei Perperikon. Ausstellungen in den letzten dreißig Jahren haben die Kunst der Thraker weit über die Grenzen Bulgariens bekannt gemacht, von Europa bis hin nach Amerika.
Der Götterglaube der Thraker hat sich in zahlreichen Denkmälern niedergeschlagen, als da sind: steinerne Votivplatten des thrakischen Reiters (Heros), Gold- und Silbergefäße aus einer Reihe von Schätzen. Einige thrakische Gottheiten (Ares / lat. Mars, Artemis / lat. Diana – deren ursprüngliche Gestalt die hohe thrakische Göttermutter Bendida ist – Dionysos / lat. Bacchus, Asklepios / lat. Äskulap u. a. m. sind von den alten Griechen übernommen worden und über diese wiederum von den Römern. Diese thrakischen Gottheiten sind heute weltweit bekannt, ihre Namen verkörpern symbolisch Krieg und Medizin und vieles andere. Allerdings sind es nur eine Handvoll Menschen, die wissen, das es sich hierbei nicht um uralte Gestalten aus der griechischen Mythologie handelt, sondern um der Religion der Thraker entlehnte. Das gilt auch häufig für einen so großen Sohn Alt – Thrakiens wie Spartakus, der aus der Gegend um Sandanski am Fuße des Pirin - Gebirges gebürtig gewesen ist. Bereits im jugendlichen Alter wurde er als Sklave nach Rom verkauft, wurde Gladiator und Führer des größten Sklavenaufstandes in der Antike.
346 v. Chr. wurde Thrakien erobert und war dann ungefähr 50 Jahre unter der Herrschaft des mazedonischen Reiches. Die antiken Mazedonier waren den Thrakern als Volk recht ähnlich, und einigen Gelehrten zufolge gehörten sie sogar in deren Stammesstruktur, denn thrakische Stämme wie Odrysen, Bessen und Daker waren vergleichbar strukturiert. Im 5. Jh. v. Chr. spielte Mazedonien eine große Rolle im Peloponnesischen Krieg, und ein Jahrhundert später übernahm es die Vorherrschaft auf dem Balkan. Die Hellenisierung war bei den alten Mazedoniern stärker ausgeprägt als bei den übrigen Thrakern, obgleich sowohl die einen als auch die anderen für die alten Griechen „Barbaren“ blieben. Philipp von Mazedonien ließ die thrakische Stadt Pulpudeva umbauen, die dann nach ihm Philippopolis genannt wurde (das heutige Plovdiv). Die durch Alexander III, den Großen (336 – 323 v. Chr.) erlangte Vorherrschaft in der Welt war jedoch praktisch nicht so sehr im Einklang mit den Interessen der alten Mazedonier bzw. der „thrakischen Welt“, als vielmehr im Interesse der bereits herausgebildeten hellenistischen Kriegs- und Verwaltungsoligarchie.
Nach lang anhaltenden Kriegen und Widerständen kamen die Gebiete der Thraker im Jahre 46 zum Oströmischen Reich. Im 2. und 3. Jh. gehörten unsere Gebiete zu den blühendsten römischen Provinzen mit hochentwickelten Städten, wie z. B. Philippopolis (das heutige Plovdiv), Augusta Trajana (das heutige Stara Sagora), Serdica (das heutige Sofia), Naisus (das heutige Niš), Pautalia (das heutige Kjustendil), Durostorum (heute Silistra), Martianopolos (heute Devnja) und Nikopolis ad Istrum (unweit von Veliko Tarnovo). Die thrakischen Gebiete zogen Ansiedler aus dem Nahen Osten an, aber auch römische Veteranen. Angelegt wurden Straßen, wobei ein so gutes Kommunikationssystem geschaffen wurde, wie es in der modernen Zeit erst wieder im 19. und 20. Jh. erlangt wurde. Und der Lebensstandard wurde dem in der Metropole angeglichen. Die Festigung des römischen Staatswesens, demographische und ethnische Kontakte führten zur dominierenden Rolle des Lateinischen (insbesondere nördlich des Balkangebirges), während die hellenistischen Kultureigenheiten Thrakiens und der Schwarzmeeküste beibehalten wurden.
330 verlegte Konstantin I, der Große, die Hauptstadt des Römischen Imperiums vom „alten“ Rom nach Byzanz (Konstantinopel, später Istanbul), das von den Bulgaren Zarigrad (Stadt der Zaren) genannt wurde. Das geschah nach einigem Hin und Her, wobei als eine der Varianten für eine neue Hauptstadt auch Bulgariens heutige Hauptstadt Sofia (das antike Serdika) in Erwägung gezogen wurde. Nach der Teilung des großen Römischen Reiches (395) kamen unsere Gebiete zum Oströmischen Reich, das unter dem Namen Byzanz in die Geschichte eingegangen ist. Unter den großen Persönlichkeiten waren auch so manche thrakischer Herkunft, sogar mehrere Imperatoren wie Matiannus (450 – 457, geboren um das heutige Plovdiv) und Justinian I, der Große (527 – 565), der wohl bedeutendste Herrscher des tausendjährigen Imperiums. Die frühbyzantinische Kultur trat in den heutigen bulgarischen Gebieten in ihren bereits gut entwickelten Formen in Erscheinung. Die hiesige Bevölkerung gehörte zu den frühesten Anhängern des Christentums in Europa. Wichtige Kirchenereignisse, wie z. B. das Konzil in Serdica (343) haben ihre Spuren im religiösen Leben der ganzen christlichen Welt hinterlassen. Die Altbulgaren sind als grundlegende ethnische Komponente in das Gefüge des mittelalterlichen bulgarischen Staates eingegangen. Schon in der Antike waren sie ein staatsbildendes Volk, ihrer ethnischen Natur nach Indoeuropäer. Ihre Urheimat war Mittelasien, und zwar die Gegend um Pamir und Hindukusch. Dort wurden zwei in der damaligen Welt wohlbekannte Staaten geschaffen, die von einigen Forschern als Balgar und Balhara bezeichnet werden. Als hochzivilisierte Gesellschaftsform waren die Altbulgaren in den zentralasiatischen Gebieten lange eine kulturelle Dominante. Sie hinterließen ein umfangreiches Kulturerbe auf den Gebieten des philosophischen Weltbildes, der Staatsführung, des Sozialwesens und der Kriegskunst, in Schrifttum, Sprache, Bauwesen und Astronomie. Eine eindruckvolle Leistung ist der aus astronomischer und mathematischer Sicht vollkommene ewige Sonnenkalender der Bulgaren. Aufgebaut ist er auf einem originellen Jahreskalender und einem ungewöhnlichen 12-Jahres-Zyklus. Die Sternzeichen darin haben Tiernamen. Die UNESCO erkennt diesen Kalender der Bulgaren als einen der genauesten und vollkommensten unter den heute bekannten Kalendern an.
Als Staatsgebilde in Europa können die Bulgaren im 2. Jh. angesiedelt werden, was durch die älteste Chronik des bulgarischen Staates, das „Namensverzeichnis der bulgarischen Khane“ belegt wird, demzufolge der legendäre Herrscher Avitohol, der Stammesvater der Dulo-Dynastie, um das Jahr 165 an die Macht kam. Diese nur wenig bekannten Jahrhunderte bulgarischer Geschichte stehen mit dem AuF und Ab der großen Völkerwanderung in Zusammenhang, wobei einzelne bulgarische Gruppen sich gezwungen sahen, nach Amerika zu gehen (die so genannten Wund-Bulgaren), oder aber nach Pannonien (dem heutigen Ungarn, wo auch später die Pannonien-Bulgaren erwähnt werden). Die Hauptmasse des Volkes hatte mit mächtigen Gegnern wie Awaren und Türken zu kämpfen, hatte aber auch Kontakte zu den Byzantinern. 451 fand die denkwürdige Schlacht von Bulgaren und Armeniern auf dem Awarenfeld statt, und zwar zur Verteidigung des Christentums. Im 7. Jh. schufen die Bulgaren mit Khan Kubrat an der Spitze eine mächtige Staatsvereinigung, die unter der Bezeichnung Alt-Großbulgarien bekannt wurde und ein Verbündeter der Byzantiner war in deren großen Kriegen gegen Awaren und Perser. Zum Zeichen der Hochachtung verlieh Imperator Heraklius Khan Kubrat, der zuvor das Christentum angenommen hatte, den hohen römisch-byzantinischen Titel „Patrizier“ und machte ihm reichlich Geschenke. Eine der Sensationen der zeitgenössischen osteuropäischen Archäologie ist der Schatz von Malaja Perjoschtschepina nahe des heutigen Poltava (Ukraine), wo der große Bulgarenfürst sein Grab gefunden hat. Die bewundernswerten Grabbeigaben - Goldschmuck, Zepter, ein herrliches Schwert und manches andere - werden heute in der Eremitage in St. Petersburg verwahrt. Sie sind ein beredter Beweis für die für damalige Zeiten ungeheure Macht Großbulgariens und die Autorität, der sich sein Fürst erfreute.
Nach den Hasareneinfällen Mitte des 7. Jh. verblieb ein Teil der Bulgaren im neuen Hasarenkhanat (das waren die Bat-Bajan-Bulgaren, die im 10. Jh. den Staat der so genannten „Schwarzbulgaren“ am Asowschen Meer gründeten). Doch andere zogen weiter und bildeten neue Staaten, das so genannte Wolga-Bulgarien und das Donau-Bulgarien. Darüber hinaus versuchten sie auch im heutigen Mazedonien Fuß zu fassen (die Bulgaren unter Kuber) und ebenso in Italien (die Bulgaren unter Alzek). Die Pannonien-Bulgaren hatten innerhalb des Awarenkhanats eine Autonomie, und ein Teil von ihnen zog vermutlich mit Kuber zum heutigen Mazedonien. Von all diesen Bulgaren sollten das heutige, von Khan Asparuch gegründete Bulgarien auf der Balkanhalbinsel und das von Khan Kotrag geschaffene Wolga-Bugarien (die heutige autonome Republik Tatarstan der Russischen Föderation) zu höchster historischer Bedeutung gelangen. Diese beiden großen mittelalterlichen Bulgarenreiche lagen über tausend Kilometer voneinander entfernt. Der Donaustaat erkannte im 9. Jh. das Christentum als Staatsreligion an und wurde im mittelalterlichen Europa zu einer dritten Kulturmacht, während der Staat an der Wolga im 10. Jh. den Weg des Islams beschritt. Unter ständigen Fehden mit den Steppenvölkern und den russischen Fürstentümern schufen die Wolgabulgaren eine Hochburg des Islams. Im 13. Jh. sahen sie sich nach heftigem anhaltendem Widerstand dann doch gezwungen, in Lehnsabhängigkeit von der tatarischen (mongolischen) Goldenen Horde zu treten, und Mitte des 16. Jh. wurde ihr Staat schließlich durch den russischen Zaren Ivan den Schrecklichen vollständig zerstört. Noch heute machen die Überreste ihrer Hauptstadt Bolgar Veliki (Groß-Bolgar) auf jeden Besucher großen Eindruck. In der Folge wurden die Wolgabulgaren dem starken Assimilationsdruck des russischen Imperiums unterworfen und nach den revolutionären Veränderungen von 1917 ebenfalls. Von da an wurden sie auch als „Tataren“ bezeichnet, ein ethnischer Begriff, der nicht der Wahrheit entspricht. Unter den Intellektuellen in der Republik Tatarstan existiert heute eine Bewegung, die den Namen „Bulgaren“ wiederzuerlangen sucht und die einstige Landesbezeichnung Bulgaristan wiederhergestellt wissen möchte.
Auf der Balkanhalbinsel vereinte das mächtige Staatsgebilde unter Khan Asparuch (680-700) die von ihm herbeigeführten Altbulgaren mit den Nachfahren der alten Thraker und den hier seit dem 6./7. Jh. ansässigen slawischen Stämmen aus der so genannten bulgarischen Gruppe. Dazu gehört eine Reihe von Stämmen, die Mösien, Thrakien und Mazedonien bewohnten, teilweise auch die heutigen Gebiete von Griechenland, Albanien, Serbien (einschließlich Kossowo) und Rumänien. Die Ambitionen der Byzantiner, diese Stämme zu unterwerfen trafen auf eine starke Hürde, nämlich den von Khan Asparuch gebildeten Staat. So entstand nach dem entscheidenden Sieg über die byzantinischen Armeen am Donaudelta 681 Donau-Bulgarien (das heutige Bulgarien), mitten am Kreuzweg nach Asien und Afrika. Zur ersten Hauptstadt wurde Pliska erkoren. Damals umfasste das Land Mösien mit der heutigen Dobrudsha und weite Landstriche nördlich der Donau. Dank ethnischer Toleranz wurde das Donau – Bulgarien bald sehr anziehend für die rundherum lebenden Slawen, die sich allmählich mit den Bulgaren vermischten. Etwa um 700 fiel Khan Asparuch im Nordosten in einer Schlacht mit den Hasaren. Sein Grab wurde von den Archäologen bei Vosnesenka in der heutigen Ukraine entdeckt. Bald wurde er zu einer Legende, hatte er doch „große Städte“ errichten lassen und Verteidigungswälle zum Schutze seines Volkes „zwischen der Donau und dem Meer“. Sein Bruder Khan Kuber gründete ein Bulgarien an der Vardar im heutigen Mazedonien (ebenfalls um 680), und zwar nachdem er sich gegen die Awaren erhoben hatte und in die Gegend von Bitolja (heute in Mazedonien) umgesiedelt war. Doch Kubers Macht reichte nicht aus, er sah sich gezwungen, die byzantinische Oberherrschaft anzuerkennen und verband sich mit den umliegenden Slawen.
An der Spitze des mächtigen Donau – Bulgarien gebot Khan Tervel (700-721) den Arabern auf ihrem Vormarsch Einhalt und rettete 718 Byzanz und ganz Europa vor der Übernahme durch das Araberkalifat, als nämlich die islamischen Krieger versuchten, die damalige christliche „Welthauptstadt“ Konstantinopel zu erobern. Als Dank für die Unterstützung Kaiser Justinian II durch die Bulgaren erhielt Tervel 705 den höchsten byzantinischen Titel „Kessar“, was auf den Namen des großen Gajus Julius Caesar zurückgeht. Diese Titelverleihung war einmalig in der Geschichte von Byzanz und dem ganzen mittelalterlichen Europa. Khan Krum (802-814) führte eine neue Gesetzgebung ein und festigte Bulgarien als einen für die damalige Zeit gut organisierten und modernen Staat. 811überfiel Byzanz die Bulgaren treubrüchig und äscherte deren Hauptstadt Pliska ein. Die Antwort der Bulgaren folgte umgehend. Khan Krums Armeen schlugen die Byzantiner auf einem ihrer Feldzüge im Balkangebirge vernichtend. In dieser Schlacht fiel auch der Imperator Nikiphoros I selbst. Seit Imperator Valenz (378) hatte es das nicht mehr gegeben, dass ein Imperator im Krieg ums Leben kam. Daraufhin suchten sich die Byzantiner mit dem Frankenkönig Karl dem Großen zu verbünden und erkannten ihn deshalb nun als „Imperator“ an. Unter Omurtag (815 – 831) erlangte die vorchristliche bulgarische Kultur ihren Höhepunkt, und politisch gesehen erstreckte sich der Staat bis an die mittlere Donau und die Theiß (heutiges Ungarn) und bis zum Dnepr (heute Ukraine). Gefestigt und weiterentwickelt wurden die von Krum begonnenen Verwaltungsreformen. Unter Pressian (836 – 852) reichten Bulgariens Grenzen fast bis an die Ägäis und bis zum heutigen Albanien. Bulgarien verwandelte sich nach dem Byzantiner- und dem Frankenreich in die dritte „Großmacht“ im mittelalterlichen Europa.
Knapp zwei Jahrhunderte nach der Staatsgründung erhob Khan Boris I (852-889) nach längeren diplomatischen Verhandlungen das Christentum zur Staatsreligion. Er selbst erhielt bei der Taufe den Namen Michail und ließ als erster bulgarische Kirchen und Klöster bauen. Die bulgarische Kirche sprach ihn heilig, und in die Geschichte ist er als der heilige Zar Boris – Michail eingegangen. Das kulturhistorisch wichtigste Ereignis war die Schaffung und Festigung des bulgarisch – slawischen Schrifttums durch die ebenfalls heilig gesprochenen Brüder Kyrill und Metodij, die heute vom Vatikan als Beschützer des christlichen Europa geehrt werden. Über die orthodoxe Kirche wurde das von ihnen geschaffene Alphabet auch von anderen Völkern angenommen. Heute wird es in Mazedonien, Russland, der Ukraine, Weißrussland, Jugoslawien und in der Mongolei verwendet. In der Vergangenheit waren diese Schriftzeichen auch in den rumänischen Fürstentümern Walachei und Moldawien dominierend, ebenso in Litauen und anderswo. Die Politik von Boris – Michail wurde durch seinen Sohn, Zar Simeon den Großen (893-927) fortgesetzt, der eine vorzügliche Ausbildung in Konstantinopel genossen hatte, schriftstellerisches Talent besaß und ein außergewöhnlich kluger Staatsmann war. Er gab die Übersetzung zahlreicher christlich-orthodoxer Bücher aus dem Griechischen ins Bulgarische in Auftrag, war der Schutzpatron der Schriftgelehrtenschulen von Pliska/Preslav und Ohrid und befasste sich selbst mit Aufklärungstätigkeit. Außerdem verlegte er die Hauptstadt nach Preslav und erweiterte die Landesgrenzen um das Doppelte, die nun durch drei Meere gebildet wurden, nämlich Schwarzes Meer, Ägäis und Adria. Als Kenner der antiken griechischen und byzantinischen Kultur gelang es ihm, den bulgarischen Staat in eine bedeutende Macht mit großem Einfluss auf die damalige Welt zu verwandeln. Die Zeit seiner Herrschaft wird mit Recht als „Goldenes Zeitalter“ bezeichnet.
Die Masse des bulgarischen Volkes blieb seinem ursprünglichen orthodoxen Glauben treu. Seine recht unterschiedliche Zusammensetzung ließ allerdings auch Wege offen für das Eindringen anderer geistiger und geistlicher Erscheinungen und Prozesse. Unter Zar Peter (927-969) entstand die Glaubensbewegung der Bogomilen. Ihr Aufkommen beruhte sowohl auf dem Einfluss der alten dualistischen Doktrinen, als auch auf den nunmehr bestehenden Möglichkeiten, dass das Evangelium von breiteren Schichten in der eigenen Sprache gelesen und ausgelegt werden konnte. Als Begründer dieser Bewegung gilt der Pope Bogomil. Die Bogomilenbewegung hatte eine Reihe origineller Züge, in erster Linie gemäßigten Dualismus und eine ausgesprochen strenge asketische Denk- und Lebensweise. Die Ideen der Bogomilen, denen zufolge die irdische Welt mit all ihren Ungerechtigkeiten ein Werk des Satans war (im Unterschied zu Gottes „Himmelreich“), fanden auch außerhalb Bulgariens Anklang und beeinflussten die christliche Welt recht stark, die französischen Katharer und Albigenser, die italienischen Paterener, die bosnischen Eretiker (deren Nachfahren die heutigen bosnischen Muselmanen sind), die russischen „Strigolnizi“ und überhaupt alle Andersdenkenden in Serbien, Kroatien und Ungarn, ja sogar im fernen England betrachteten die Bogomilen als ihre geistigen Lehrer. Die französischen religiösen Rebellen nannten sich stolz „Burgi“ („Bulgaren“ im Glauben) und legten damit die Betonung auf ihre Verbindung zu ihren älteren bulgarischen Brüdern. Diese Ideen, die die katholische Kirche mit Feuer und Schwert verfolgte, spiegelten sich auch in der Reformation und den protestantischen Lehren des Westens wider.
Trotz aller Widrigkeiten war das Bulgarenreich zwar auch unter Zar Peter noch immer eine bedeutende politische Macht, doch die Intrigen von Byzanz beschworen die Aggression des Herrschers der Kiewer Russ, Svetoslav herauf. Die Belagerung durch Normannen und Russen führte zur scheinbaren „Unterstützung“ durch die Byzantiner, deren Folge ein böses Erwachen für die Bulgaren war. Während der byzantinische Imperator Johannes Zymishos Svetoslav 971 zurückdrängte, eroberte er zugleich die ostbulgarischen Gebiete zusammen mit der Hauptstadt Veliki Preslav. Die Westgebiete, deren Kern das heutige Mazedonien bildete, behielten noch ihre Unabhängigkeit. Viel dazu beigetragen hat der kluge Staatsmann Zar Samuil (997-1014), unter dessen Herrschaft das Staatszentrum nach Ohrid verlegt wurde. Der heldenhafte Kampf der Bulgaren gegen die Byzantiner war gekennzeichnet durch große Siege, einschließlich der Befreiung der alten Hauptstadt Preslav, aber auch durch schwere Verluste. Nach der Zerschlagung der Samuilschen Heere von 1014 nahm der byzantinische Imperator Basilius II, genannt der Bulgarenmörder, 15 000 bulgarische Krieger gefangen. Er ließ sie blenden und nur auf je 100 Mann wurde einem ein einziges Auge gelassen, damit der sie führen konnte. Durch diesen Fehlschlag war das Schicksal der ersten historischen Epoche Donau-Bulgariens besiegelt (1018). Über 170 Jahre war Bulgarien von nun an unter byzantinischer Herrschaft.
Nach zahlreichen großen und kleinen Aufständen gelang es den Bulgaren in Mösien mit den Bojarenbrüdern Asen und Peter an der Spitze zwischen 1186 und 1188, die Unabhängigkeit ihrer Heimat von Byzanz zu erkämpfen. Hauptstadt des Bulgarenreiches wurde Veliko Tarnovo. Ganz besonders fruchtbringend war dann die Zeit der bulgarischen Herrscher, Heerführer und Diplomaten Zar Kalojan (1197-1207) und Zar Ivan Assen II (1218-1241). Durch viele hervorragende Züge, zielgerichtete Kriege und weitsichtige Friedensverträge wurde das bulgarische Reich stark vergrößert und lang andauernder Frieden und Wohlstand für die bulgarischen Gebiete erreicht. 1204 gelang es Kalojan als erstem Herrscher im Osten, die als unbesiegbar geltende Kavallerie der Ritter zu besiegen. Und unter Ivan Assen II erlangte das Land fast wieder die territoriale Ausdehnung, die es schon einmal unter Simeon dem Großen besessen hatte. In den nächsten Jahrzehnten hatte das Bulgarenreich unter der Vormachtstellung der Tataren (Mongolen) zu leiden und wurde von politischen Krisen geschüttelt (einschließlich des großen Bauernaufstandes unter Zar Ivajlo), doch es konnte den Unbilden standhalten. Der „goldene Untergang“ des mittelalterlichen Bulgarien war dann erst unter Ivan Alexander (1331 – 1371). Kunst und Kultur erlebten noch einmal eine Blütezeit und gingen mit der Vorrenaissance in Westeuropa einher. Doch die Tage des freien Bulgarenreiches waren gezählt, denn von Südosten her drängten bereits muselmanische Türken heran. 1393 wurde die „Zarenstadt“ Tarnovo von den Osmanen erobert und zerstört, und 1396 fielen dann schließlich auch die letzten freien bulgarischen Gebiete unter deren Herrschaft.
Die Tarnovoer Gelehrtenschule hatte insbesondere unter dem bedeutenden Schriftsteller und geistlichen Führer Patriarch Evtimij (1375-1393) großen Einfluss auf die orthodoxe Welt, vor allem auf die aufkeimende neue Großmacht, das Moskauer Russland . Um die Wende vom 14. Jh. zum 15. Jh. waren die geistlichen Führer, die Kirchenoberhäupter in Russland, Litauen, Moldawien, der Walachei und Serbien Bulgaren. Der heilige Kiprian von Moskau (in Russland), Efrem von Serbien und Nikodim Tismanski (in der Walachei) wurden von diesen Völkern als Nationalheilige verehrt. Der den osmanischen Gewalttaten entkommene bulgarische Geistliche und Schriftsteller Grigorij Zamblak ragte so sehr heraus, dass er der Vertreter gleich mehrerer Literaturströmungen jener Zeit wurde, nämlich der bulgarischen, der serbischen, der moldawischen, der russischen und der byzantinischen.
Nun begann jedoch auch die dästerste Zeit in der bulgarischen Geschichte, die mehrere Jahrhunderte andauern sollte. In diesen für das bulgarische Volk schweren Zeiten zog das osmanische Imperium eine Diskriminierungspolitik gegenüber der christlichen Bevölkerung durch, insbesondere den Bulgaren gegenüber, die überhaupt vollständig assimiliert werden sollten. Infolge der Eroberung durch die Osmanen wurden christliche Kirchen zerstört und im Gegenzug zahlreiche Moscheen erbaut. Zur Ausfertigung weltlicher und kirchlicher Urkunden wurden arabische Schriftzeichen eingeführt. Viele christliche Heiligtümer wurden niedergerissen oder in muselmanische umgewandelt. In den heutigen bulgarischen Gebieten siedelten sich Türken an, vorwiegend Soldaten. Ganz besonders schwer für die Bulgaren war die so genannte Blutsteuer, der zufolge ein kleiner Junge pro Familie nach Kleinasien entführt wurde, wo er den mohammedanischen Glauben annehmen musste und als Janitschar ausgebildet wurde, d. h. zu einem fanatischen Soldaten im Dienste des Sultans, ohne innere Bindung zu Familie und Heimat. Eben diese Janitscharen waren zusammen mit den Söldnern in der türkischen Armee, dem so genannten Başibozuk, die grausamsten Herren der Lage in Bulgarien.
Eine Reihe von Unruhen und Aufständen wurde zum Ausdruck des immer noch lebendigen Freiheits- und Unabhängigkeitswillens der Bulgaren. Am häufigsten waren sie Ende des 17. Jh., als allein zwischen 1686 und 1689 drei große Aufstände ausbrachen: der zweite Tarnovoer Aufstand (der erste war 1598), der Aufstand von Chiprovzi und der von Karmosch in Nordmazedonien. In all diesen Jahrhunderten der Fremdherrschaft erlosch niemals das Feuer der Haiducken, der Freiheitskämpfer gegen das osmanische Joch. Über das riesige Gebiet von der Donau bis zur Ägäis und in den Bergen des heutigen Albanien schweiften bewaffnete bulgarische Freischaren umher, die sich für Missbrauch und Gewalttaten der fremden Macht rächten. Die Erfahrung aus diesen militärischen und politischen Handlungen zeichnete sich später als Beginn der organisierten Befreiungsbewegung unter den Bulgaren ab.
Mitte des 18. Jh. begann die so genannte bulgarische Wiedergeburt. Kampf um eine unabhängige Kirche und Offenheit der Konfessionsbekennung, Herausgabe von Büchern und später auch von Periodika auf Bulgarisch, Schaffung von bulgarischen weltlichen Schulen und Öffentlichmachung von Sprache und Kultur – all das waren Schritte zur Wiederauferstehung der Nation. Ein ganz besonders wichtiges Moment war da die Niederschrift „Slawisch-bulgarische Geschichte“ durch den Mönch Paissij Hilendarski (1762) und deren spätere Verbreitung zunächst in Form von Abschriften. Geschaffen wurden die für Bulgarien typischen „Lesestuben“ (eine Art Bibliotheken und Kulturclubs), in denen der nationale Geist bewahrt und immer wieder geweckt wurde. Durch diese Einrichtungen kamen Tausende junger Bulgaren mit den Werten der europäischen Kultur in Berührung und Nationalbewusstsein und Streben nach politischer Freiheit gewannen zunehmend an Wichtigkeit. Der sich Mitte des 19. Jh. in eine zivile Massenbewegung ausweitende Kampf um eine nationale Kirche trug nicht so sehr klerikale Züge als vielmehr weltliche. Da ging es eher um den Kampf um eine nationale Emanzipation, durch den sich die türkische Regierung gezwungen sah, die Bulgaren als selbständige Nation anzuerkennen und nicht nur einfach als Teil der gestaltlosen Masse des so genannten „Rum millet“, der Christen im Imperium. So gelang es den Bulgaren auf demokratischem Weg, sich gegen das Patriarchat in Istanbul durchzusetzen, das den Assimilationstendenzen der griechischen „Großidee“ Vorschub leistete, deren Ziel die geistliche Angleichung der bulgarischen Bevölkerung war. Ihre Kulmination fand diese allgemeine aktive Volksbewegung im so genannten „Bulgarischen Osterfest“ von 1860, als die Bulgaren mutig ihre Stimme zur Verteidigung ihrer nationalen, religiösen und menschlichen Rechte erhoben.
Von außerordentlicher Bedeutung für die Bulgaren waren die russisch-türkischen Kriege im 18. und 19. Jh., während der der Mythos von „Großväterchen Ivan“, dem russischen Helden aus dem Norden geboren wurde, der seine christlichen Brüder auf dem Balkan befreien würde. Diese Hoffnung wurde auch noch durch die realen Interessen Russlands an Einflussnahme auf dem Balkan genährt. Unglücklicherweise brachten diese Kriege Burgarien allerdings noch nicht die Freiheit. Infolgedessen sahen sich Tausende und Abertausende Bulgaren gezwungen, in die Donaufürstentümer und Bessarabien zu emigrieren, die damals zum russischen Imperium gehörten. Auch heute noch leben Hunderttausende ethnische Bulgaren in den Südgebieten Moldawiens und der Ukraine und hüten ihre Herkunft, Sprache und Sitten und Gebräuche.
Die Teilnahme von bulgarischen Freiwilligen an diesen Kriegen, insbesondere am Krimkrieg, zwischen 1853-1866 veranlasste Russland – wenn auch recht spät (im Vergleich zu seiner Politik Serbien und Griechenland gegenüber), den Kampf für die Befreiung Bulgariens vom osmanischen Joch zu planen und zu organisieren. Die Bedingungen auf dem Balkan waren nicht sehr günstig für jene Bulgaren, die in unmittelbarer Nähe der großen Zentren des Imperiums lebten, da diese in der Hauptsache für die Verpflegung der osmanischen Kriegsmaschinerie und Bürokratie zu sorgen hatten. Der benachbarten Walachei und Moldawien (1859 mit Rumänien vereinigt), Serbien und Griechenland gelang es dank ihrer geopolitischen Gegebenheiten wesentlich leichter, von der osmanischen Herrschaft freizukommen. Die Bulgaren beugten sich dennoch nicht, hatten sich allerdings nicht nur gegen das degradierte osmanische Reich zu behaupten, sondern auch noch gegen ihre räuberischen Nachbarn.1862 rief Georgi Rakovski, der Ideologe der bulgarischen nationalen Revolution, in Belgrad die Erste bulgarische Legion ins Leben, in der junge Bulgaren im Kriegshandwerk unterwiesen und so auf die Organisation eines künftigen Aufstandes vorbereitet wurden. Zahlreiche bulgarische Emigranten erhielten außerhalb der Landesgrenzen eine solide militärische Ausbildung, andere wiederum stellten bereits etwas dar im osmanischen Imperium und suchten auf diplomatischem Wege die nationale Unabhängigkeit zu erreichen. 1869 wurde unter dem Vorsitz des Schriftstellers und Revolutionärs Ljuben Karavelov in Bukarest ein zentrales bulgarisches Revolutionskomitee geschaffen, das von Rumänien aus die Vorbereitung eines Aufstandes leitete.
Eine Schlüsselfigur war Vasil Levski (1837-1873) – ein Nationalheld der Bulgaren, den diese liebevoll einfach „Djakona“ (Mönch) nannten oder auch als „Freiheitsapostel“ bezeichneten. Er entsagte der Mönchskutte, um ein solides Netz lokaler Revolutionskomitees aufzubauen, die dann in einem zentralen Revolutionskomitee mit Lovetsch als Mittelpunkt zusammengefasst wurden. Die osmanische Polizei brauchte Jahre, um ihn endlich erwischen, vor Gericht stellen und am damaligen Stadtrand von Sofia aufknüpfen zu können, ohne dass es ihr gelang, auch nur einen einzigen Namen seiner Mitstreiter aus ihm herauszubekommen. Bis zum heutigen Tag gilt Levski als Nationalheld und als das teuerste Opfer, das Bulgarien in seiner ganzen jahrtausendelangen Geschichte hingegeben hat. Ein Wendepunkt in der nationalen Befreiungsbewegung der Bulgaren war der Aprilaufstand von 1876. Während dieses Aufstands, der am heftigsten in Thrakien tobte (sein Anführer dort war Georgi Benkovski) mussten Tausende unschuldige Opfer ihr Leben lassen. Unter den Tausenden für Bulgarien gefallenen Revolutionären ist besonders der große Dichter Hristo Botev (1848-1876) zu nennen.
Die blutige Niederschlagung des Aprilaufstandes ließ die gesamte demokratische Weltöffentlichkeit aufhorchen. Die Folge war eine Welle von Protesten, von Meetings und Aktionen zur Sammlung von Hilfsgütern für die unglücklichen Bulgaren, und zwar in ganz Europa - vom slawischen Russland bis hin ins ferne England und Irland. Die vom amerikanischen Journalisten MacGaham so eindringlich dargestellten „bulgarischen Schreckensereignisse“ erschienen auf den ersten Seiten der europäischen und der Weltpresse. „Den Imperien, die da töten, muss das Handwerk gelegt werden!“, schrieb der französische Schriftsteller Victor Hugo. Ihre Unterstützung für die bulgarische Befreiungsbewegung gaben so große Politiker wie William Gladstone und Otto von Bismarck. Die größten Geister des damaligen Europa erhoben ebenfalls ihre Stimmen zur Verteidigung der Bulgaren, darunter Darwin und Mendeleew, Dostojewski, Tolstoj und Turgenjew, Garibaldi und viele andere mehr.
Die Großmächte konnten dieses Mal die Jahrzehnte lang bewusst heruntergespielte bulgarische Frage nicht mehr so ohne weiteres ignorieren. 1875 wurde auf einer Konferenz in Istanbul ein vergeblicher diplomatischer Versuch unternommen, dem zweigeteilten Bulgarien (Ostbulgarien mit Veliko Tarnovo als Hauptstadt und Westbulgarien mit der Hauptstadt Sofia) die Autonomie in seinen ethnischen Grenzen zu gewähren, und so erklärte der russische Zar Alexander II der Türkei schließlich 1877 den Krieg. Neben Russen und Ukrainern kämpften in diesem Krieg auch Finnen, Polen, Rumänen und zahlreiche bulgarische Freischärler. Nach schweren heldenhaften Kämpfen, insbesondere am Schipka-Pass im Balkangebirge und um Pleven in Nordwestbulgarien, blieb der Türkei dann am Ende nur noch der Abschluss eines Friedensvertrages vor den Mauern von Istanbul. So erlangte Bulgarien am 3. März 1878 seine Unabhängigkeit wieder, wobei es sich auf fast alle bulgarischen Ländereien von einst erstrecken sollte (Mösien, Thrakien und Mazedonien), in deren Ethnos und Kultur das bulgarische Element dominierte.
Im Juli 1878 jedoch revidierten die Großmächte auf dem Berliner Kongress den Friedensvertrag von San Stefano und teilten Bulgarien auf. Nördlich des Balkangebirges (Mösien) wurde das autonome, allerdings dem Sultan untergebene Fürstentum Bulgarien geschaffen, zu dem auch das Gebiet um Sofia kam. Südbulgarien (Thrakien) verwandelte sich in Ostrumelien (mit Plovdiv als Zentrum), und zwar unter der politischen und militärischen Oberherrschaft der Hohen Pforte, wenn auch verwaltungsmäßig autonom, während Mazedonien und das thrakische Gebiet um Adrianopel weiterhin unter türkischer Herrschaft blieben. Rumänien erhielt die Nord-Dobrudsha zugesprochen und Serbien die Gebiete um und mit Niš. In den unter fremder Oberhoheit verbliebenen bulgarischen Gebieten, insbesondere in Mazedonien begann nun ein heldenhafter Befreiungskampf, der die Traditionen des großen legendären Freiheitskämpfers V. Levski fortsetzte und dessen Höhepunkt der 1903 am Tag der Verklärung ausgebrochene Aufstand war.
Trotz der Verbitterung wegen der Ungerechtigkeit des Berliner Vertrags machten sich die Bulgaren daran, ihren Staat wieder aufleben zu lassen. In der historischen Hauptstadt Veliko Tarnovo fand die Gründungsversammlung der (Großen) Nationalversammlung statt, d. i. das bulgarische Parlament. Dabei wurde die Tarnovoer Verfassung geschaffen, die wohl demokratischste in der damaligen Welt. Bulgarien wurde eine Konstitutionsmonarchie mit einem starken Parlament und moderner Gesetzgebung. Der erste Fürst des nunmehr freien Bulgarien, nämlich Alexander I Battenberg (1879 – 1886) wurde dazu auserwählt, ein Volk zu regieren, das es 1885 ganz allein geschafft hatte, sein in zwei geteiltes Land gegen den Willen der Großmächte zu einem zu vereinigen. In dem darauffolgenden serbisch-bulgarischen Krieg (1885) verteidigten die Bulgaren erfolgreich ihr Recht, einig zu sein in einem vereinten Land. Unter dem Ministerpräsidenten Stefan Stambolov (1887 – 1894), einem bedeutenden Politiker und Staatsmann, auch als bulgarischer Bismarck bezeichnet, gelangte Bulgarien zu dem internationalem Ansehen eines europäischen Staates. Unter Fürst (später Zar) Ferdinand von Sachsen-Coburg-Gotha (1887 –1918) verstärkte sich die Rolle des Monarchen aus objektiven und subjektiven Gründen, doch auch das inzwischen geschaffene Mehrparteiensystem war nicht mehr wegzudenken. 1908 brachte Bulgarien auch die letzten Reste von Ungleichheit gegenüber dem Osmanischen Imperium hinter sich, indem es seine Unabhängigkeit erklärte. 1912 – 1913 war Bulgarien das Rückgrad der Verbündeten Balkanländer gegen das Imperium und für die Befreiung Mazedoniens. Die bulgarischen Soldaten vollführten an Wunder grenzende Heldentaten, wobei sie erstmals das Flugzeug als militärisches Mittel einsetzten und neue Methoden bei der Artillerie einführten. Die allgemeine Bewunderung des Volkes wurde von der eigennützigen Politik der Verbündeten Serbien und Griechenland zu Nichte gemacht, durch den Schlag in den Rücken seitens Rumänien und all das leicht gemacht durch Fehler der bulgarischen Diplomatie. Im Hinblick auf die nun doch nicht zustande gekommene nationale Vereinigung blieb Bulgarien im Ersten Weltkrieg nichts anderes übrig, als zusammen mit Deutschland und den anderen besiegten Ländern auf eine Katastrophe zuzusteuern. Alles Heldentum der bulgarischen Armee war vergebens nach dem Misserfolg sämtlicher Versuche, Mazedonien zu befreien und dem Königreich Bulgarien anzugliedern. Die nationale Katastrophe wurde noch verschärft durch die Unterzeichnung des Friedensvertrages im Pariser Vorstadtviertel Neuilly von 1919.
Unter Zar Boris III (1918 – 1943) schrumpfte das Gebiet des Landes und dieses war von feindlich gesinnten Nachbarn umgeben. Heimgesucht wurde es von katastrophenähnlichen sozialen Umwälzungen und erbitterten innenpolitischen Kämpfen. Trotzdem konnten sich alle Wirtschaftszweige weiter entwickeln, die Forschungsarbeit wurde unterstützt, ebenso Bildung und Kunst. Einer der bulgarischen Ministerpräsidenten war damals Alexander Stambolijski (1919 – 1923), der Ideologe und Führer des Bulgarischen Landwirtschaftsverbandes, der mutige Reformen vornahm, allerdings einige schwerwiegende Fehler in der Innenpolitik beging, aber auch so manchen diplomatischen Schnitzer machte. Die politische Lage spitzte sich durch den Septemberaufstand von 1923 und zwei Jahre später durch das Attentat in der Nedelja-Kirche von Sofia noch zu, denn es folgten grausame Repressionen seitens einiger rechts gerichteter Kräfte. Trotz aller außergewöhnlichen Probleme fuhr das bulgarische Volk doch fort, die Tarnovoer Verfassung anzuwenden und bemühte sich um Demokratie und ein gerechteres soziales Leben.
Mit dem Namen Zar Boris III steht auch die beispiellose Rettung der bulgarischen Juden vor ihrer Deportierung in deutsche Konzentrationslager während des Zweiten Weltkriegs in Verbindung. Unter dem Druck der demokratischen Kräfte, der bulgarischen orthodoxen Kirche und führender Intellektueller brauchten 50 000 Juden ihre Heimat nicht mit den Todeszügen zu verlassen. Bulgarien schickte keine Soldaten an die Ostfront, um an der Seite Hitlerdeutschlands zu kämpfen. Unsere Soldaten waren in der letzten Phase des Krieges auf Seiten der UdSSR und deren Verbündeter. Auf der Pariser Friedenskonferenz von 1947 wurden historische und ethnische Rechte der Bulgaren leider erneut missachtet, indem nämlich Mazedonien in die Grenzen von Titos Jugoslawien eingeschlossen wurde. In diesem Teil des Vaterlandes nahm ein brutales Experiment zur Schaffung einer mazedonischen Nation und Sprache auf antibulgarischer Grundlage seinen Anfang. Und dennoch war es eben Bulgarien als ein Staat mit Jahrhunderte langer historischer Erfahrung und gezeichnet durch unerhörte Leiden, der als erster in der Welt die heutige Republik Mazedonien anerkannte (1991) und ihr nach wie vor uneigennützig Unterstützung zukommen lässt in den überaus komplizierten Gegebenheiten auf dem Balkan um die Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert.
Nach dem 9. September 1944 wurde die demokratische Ordnung in Bulgarien wieder hergestellt. Durch die sowjetische Einmischung wurde allerdings in erster Linie die Kommunistische Partei lanciert. 1945 kehrte Georgi Dimitroff aus Moskau zurück, bekannt als „Sieger im Prozess des 20. Jahrhunderts“ in Leipzig, den die Nazis gegen drei Bulgaren inszeniert hatten, wobei sie diese als Brandstifter für den Reichstagsbrand anklagten. 1946 wurde Georgi Dimitroff zum Ministerpräsidenten gewählt und zugleich zum Generalsekretär der Bulgarischen Kommunistischen Partei. Unter Valko Chervenkov (1950 – 1956) festigte sich endgültig der Personenkult. Staat und Partei wurden eins während der lange andauernden totalitären Verwaltung durch Todor Shivkov (1956 – 1989). In den 70-er Jahren stabilisierte sich Bulgariens Industrie auf dem zeitgenössischen Stand.
Im November 1989 begannen erneut demokratische Veränderungen in Bulgarien. Unter den Bedingungen der real funktionierenden parlamentarischen Republik wählte Bulgarien in demokratischen Wahlen seine Staatsmänner, die Präsidenten Zhelju Zhelev, Petar Stoyanov und Georgi Parvanov und die Ministerpräsidenten Andrej Lukanov, Dimitar Popov, Filip Dimitrov, Ljuben Berov, Zhan Videnov und Ivan Kostov. Seit 2001 ist Simeon von Sachsen-Coburg-Gotha, der Sohn von Zar Boris III, Ministerpräsident der Republik Bulgarien. Heute versucht Bulgarien, sich schnell in die große europäische Familie zu integrieren, indem es sein eigenes Modell ethnischer Toleranz aufbaut, das auf den traditionellen bulgarischen demokratischen Werten beruht und auf der historischen Erfahrung. Eben Bulgarien kommt die größte Bedeutung für die Stabilisierung auf dem Balkan und in Europa zu, unabhängig vom überaus schwierigen sozialen und wirtschaftlichen Übergang.
In den Venen des heutigen bulgarischen Volkes fließt altes und gesundes Blut, nämlich das Blut der Altbulgaren und Slawen, die sich im 7. Jh. auf dem Balkan niederließen und sich ihr Gebiet mit Waffengewalt eroberten. Ein Gebiet, das sie mit ihrer Hände Arbeit, mit Energie und Geschick in eines der Zentren der mittelalterlichen europäischen Zivilisation verwandelten. In ihnen haben sich antike Thraker und all die anderen alteingesessenen Bewohner von Mösien, Thrakien und Mazedonien vereint. Und so ist eines seiner Herkunft nach ältesten Völker des heutigen Europa entstanden, die Bulgaren, voller unruhigen Geistes und sehr lebendig. Ein Volk, das bemerkenswerte Staats- und Kulturtraditionen geschaffen hat, ein Volk, das sich die Errungenschaften alter und neuerer Kulturen zu Nutze macht, ein Volk, das starke Zivilisationsimpulse an andere Völker weitergibt, insbesondere im orthodoxen Teil Europas. Überaus viel hat dieses Volk Europa und den Slawen gegeben, als da sind die heilig gesprochenen Brüder Kyrill und Metodij und der unvergleichliche religiöse Rebell, der Pope Bogomil; der große, ebenfalls heilig gesprochene Musiker Johann Kukusel und hervorragende Gelehrte wie der heilige Kliment Ohridski, der heilige Johann Exarch und der heilige Patriarch Evtimij von Tarnovo und noch viele, viele andere führende Persönlichkeiten bei anderen orthodoxen Völkern, beginnend beim heiligen Michail, dem „Bulgaren“ und ersten Metropoliten der Kiewer Russ Ende des 10. Jh. In der dramatischen Zeit des 14./15. Jh. sehen wir den heiligen Kiprian als Metropoliten von Kiew und Moskau, seinen Nachfolger in Kiew und Litauen, Grigorij Zamblak, den heiligen Patriarchen Efrem von Serbien, den Führer der rumänischen Mönche, den heiligen Nikodim Tismanski ...... Das alles Bulgaren, die ihre Kraft eingesetzt haben für die Entwicklung geistig nahe verwandter Völker, nämlich Russen, Ukrainer, Weißrussen, Serben, Rumänen und vieler anderer.
Der Schöpfergeist der Bulgaren ist also weder in Bulgarien selbst noch im Ausland jemals gebrochen worden, weder durch die fünfhundertjährige türkische Fremdherrschaft, noch durch die dramatischen Umwälzungen der letzten hundert Jahre, die zu schweren nationalen Katastrophen geführt haben und zu nicht minder schweren sozialen und politischen Experimenten bis hin zu ganz offenem Raub ureigenster bulgarischer Gebiete.
Der schöpferische Geist des Bulgaren hat es dennoch geschafft, Regime und Kriege zu überleben, Repressionen und Ströme bulgarischen Blutes. Er hat der Welt sogar die bedeutendste moderne Entdeckung gegeben, nämlich den Computer, ein Werk von John Atanasov, dessen Vater irgendwie durch ein Wunder in den blutigen Tagen des Aprilaufstandes von 1876 am Leben blieb. Hier sollten auch Namen erwähnt werden wie Assen Jordanov, der Konstrukteur der „Boing“, Ivan (John) Nochev, unter dessen sachkundiger (und streng geheimer!) Leitung der Mensch erstmals den Mond betreten hat. Schließlich können wir auch nicht die in der Welt der Oper zum Kult gewordenen Namen von Boris Hristov und Nikolaj Gjaurov, Gena Dimitrova und Rajna Kabaivanska umgehen. Oder „das Mysterium bulgarischer Stimmen“, das einen der Sterne am Rock-Musik-Himmel bezaubert hat! Oder auch die bulgarischen Künstler in aller Welt, einschließlich der Legende der modernen Kunst Christo (Hristo Javaschev) ...
Diese Gedanken sind kein Versuch zu einer unbescheidenen „Selbstreklame“, noch das Ergebnis einer romantischen nationalen Einstellung, denn unabhängig davon, ob wir daran glauben oder nicht, ob wir uns des Wesens des Erreichten bewusst sind oder nicht, widerspiegeln sie einfach die Wahrheit. Eine Wahrheit, die wir in Erinnerung behalten müssen, eine Wahrheit, die uns vor uns selbst verpflichtet und vor unseren Nachkommen.
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